Steine in Stonehenge © Tom Rübenach

Wahlkampf | Europa und der Brexit

TSBN | 21. April 2016 Auch am 90. Ihrer Majestät diskutieren die Briten über die EU. Es ist ja auch nicht mehr lange hin. In knapp zwei Monaten stimmen sie über den Brexit ab, den Ausstieg Britanniens aus der Europäischen Union. Bleiben sie? Gehen sie? Schließlich ist die EU manchem Engländer nicht so wichtig wie das große Empire, das den Briten ja bliebe. Die dienstältesten Monarchin der Welt als Staatsoberhaupt würden sie auch behalten. Wer hat sowas schon?

First of all: Happy birthday, your majesty! Soviel Zeit muss sein an so einem Tag. Neunzig Jahre ist diese besondere Frau heute alt geworden. Voller Pflichtbewusstsein, nicht immer unumstritten, aber hoch respektiert von Land’s End über Dunbar bis nach Neuseeland. Und natürlich auch bei uns und in vielen anderen Ländern der Welt. Je älter sie wird, desto stärker wächst die Bewunderung für dieses personifizierte Beispiel an Pflichterfüllung. All the best, Ma’am! Alle Royalisten außerhalb des Vereinigten Königreichs mögen sich damit trösten, dass die Queen selbst dann Staatsoberhaupt bliebe, wenn es zum Brexit käme. Das würde sogar dann gelten, wenn eines Tages Schottland UK verließe.

Und tschüss! © i-essential 2014
Und tschüss! © i-essential 2014

Schicksalstag 23. Juni?

Die Entscheidung fällt am 23. Juni. Schicksalstag für Europa? Mitnichten. Europa ist viel größer und bedeutender als seine Einzelteile. Auch viel bedeutender als Deutschland übrigens. Anders ausgedrückt: die EU ist eine Staatengruppe, die sich zwecks freiem Waren- und Personenverkehr sogar auf ein Schengen-Abkommen verständigt hat. Aber ist die EU auch Europa? Nein. Sie gehört zu Europa, sie ist es aber nicht. Alleine das zeigt schon, dass sie kleiner ist als der Kontinent. Das eigentlich Große an Europa ist ja nicht der gewaltige Wirtschaftsraum mit einem gigantischen BIP. Auch nicht die Europäische Zentralbank. Nicht einmal der Eurovision Song Contest. Das wirklich Große ist die Tatsache, dass es im demokratischen Teil unseres Kontinents seit bald achtzig Jahren keinen Krieg mehr gegeben hat. Lasst die Briten also in aller Ruhe abstimmen, sie werden schon zu einem Ergebnis kommen.

Brexit: „Befreiung eines ganzen Kontinents“

Sie sollen einfach bleiben. In der EU oder draußen. Für manche sind die Briten Nervensägen. Das unnachahmliche „No! No! No!“ Thatcher’s klingt heute noch nach. Diese „conditio sine qua non“ Camerons auf dem Gipfel in Brüssel war der Gipfel. Für viele mag dies eine Existenzfrage Europas sein, für mich ist sie das keineswegs. Ebenso wenig würden Europa oder die EU kollabieren, wenn sich Länder am Rande der Demokratie vom EU-Europa verabschiedeten. Auf mitteleuropäische Menschen wirkt es geradezu grotesk, mit welcher Sprache die Brexit-Befürworter sich Gehör zu verschaffen suchen.  Justizminister Michael Grove ist so ein Exemplar, das für den Brexit eine ganz besonders scharfe Sprache wählt: Großbritannien sei ein „Entführungsopfer“, das im „Kofferraum eines Autos eingesperrt“ sei. Grove hat das dieser Tage in einer Rede genau so gesagt. Und der Brexit-Wahlkampf hat gerade erst begonnen. Noch ein Text dieses Mannes, der Justizminister in Londons Regierung ist: Stimmten die Briten für den Austritt, so Grove, dann wäre dies „der Beginn einer demokratischen Befreiung eines ganzen Kontinents“. Geht’s noch etwas größer?

The London Underground (c) Tom Rübenach
The London Underground © Tom Rübenach

Das verflossene Empire

Cameron will, dass sein Land in der EU bleibt. Soll es doch. Seine jetzige Position pro EU konnte man bei ihm nicht immer erkennen. Dieses ständige „entweder-die-EU-macht-das-jetzt-so-wie-wir-es-wollen-oder-wir-gehen-eben-raus“, davon hatte auch Frau Merkel irgendwann genug (siehe Foto links oben). Das ist anderthalb Jahre her. Jetzt bemüht sie sich, als Europäerin auch für den Verbleib des Königreiches zu arbeiten. Man mag von der Dominanz Deutschlands in der EU oder gar in Europa sprechen; zum Teil sicherlich mit Recht. Der britische Guardian hat Deutschland einmal „The accidental Empire“ genannt, das „zufällige Imperium“. Weil’s den meisten Deutschen gar keinen Spaß macht, so groß zu sein. (Eine Serie, die sich für jeden zu lesen lohnt, der sich für die britische Sicht auf unser Land interessiert).

Deutlicher als sein Chef macht ein anderer EU-Befürworter, warum es für Großbritannien einen Wert an sich bedeuten würde, Mitglied zu bleiben. In einem Artikel für die „Times“ schrieb George Osborn, der Finanzminister der Insel, dass das Bruttoinlandsprodukt in nur 14 Jahren sechs Prozent niedriger sei bei einem Austritt. Dies bedeute, so schrieb er weiter, jeder Haushalt hätte 5.400 Euro weniger im Portemonnaie als heute. Das könnte wirken. Da werden vermutlich auch die Verklärer des in Wirklichkeit verflossenen Empire mit dem Grübeln beginnen. Schade, dass der große europäische politische Bogen in dieser Darstellung ganz fehlt. Wieder geht es „nur“ ums Geld.

Britannien bleibt (in) Europa

Der Autor dieses Artikels war als 16jähriger erstmals auf der Insel. Damals war ihm bereits aufgefallen, dass ständig vom „continent“ die Rede war, wenn die Leute von „Festland-Europa“ sprachen. Viele sagten – und sagen es heute noch: „I’ve been to Europe“, wenn sie aus Frankreich oder Spanien zurückkommen; als ob es sich um etwas Fremdes, Anderes handele. Eine andere Galaxie gewissermaßen. Seit dieser ersten Reise jedoch gab es Dutzende von Reisen auf die Insel. Freundschaften sind entstanden, die schon Jahrzehnte Bestand haben. Ob East Sussex, Schottland oder London: das ist eine herrliche Insel. Verrückt ist sie auch (nicht nur, weil sie immer noch links fahren). Die Menschen sind meist höflicher als bei uns, mitunter auch distanzierter, was nicht Oberflächlichkeit bedeuten muss. Aber stets hilfsbereit, und überaus geduldig mit denen „aus Europa“.

Möwenflug an der Brexit-Küste © Tomas Rübenach
Möwenflug beim Brexit? © Tom Rübenach

 

Brexit ja oder nein: gewiss ist das politische eine ungemein wichtige Frage, ebenso ökonomisch. Historisch ist das nicht wirklich bedeutend. Das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland wird, soweit man von heute aus sehen kann, immer europäisch bleiben. Vermutlich jedenfalls.

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