Zaun © Tom Rübenach

Das Volk | Sprache und Politik 01

Dieser erste Teil unserer neuen Reihe „Sprache und Politik“ handelt vom „Volk“. Es geht um das Diktat von Begriffen und Symbolen. Nicht als Linguistik-Seminar oder Politolinguistik-Vorlesung. Es geht um die Frage, ob wir uns von Extremisten vorschreiben lassen wollen, welche Sprache gut und welche schlecht ist. Unser erster Begriff: Das Volk.

ToS|14. September 2017 Am 23. Mai 1949 wurde das deutsche Grundgesetz verabschiedet. Ein großartiges Dokument für das deutsche Volk. Ein Wort, das unterschiedlicher als kaum ein anderer Begriff genutzt wurde. Siehe “friedliche Revolution in der DDR” und Ost-Berlin: Eine große Begeisterung war das, damals, im Herbst 1989. Hunderttausende Ostdeutsche zogen durch Straßen und Städte: Gegen die Versteinerung des Honecker-Regimes. Gegen die SED-Diktatur. Gegen die Stasi. Für mehr Demokratie und Reisefreiheit, für freie Wahlen. Noch bevor diese Bewegung eine Eigendynamik entwickelte, die schließlich zur Deutschen Einheit führte, riefen die Menschen: „Wir sind das Volk!“. Das hieß: Nicht Ihr SED-Bonzen seid das Volk. Wir sind es. Wir wollen unsere Zukunft selbst in die Hand nehmen. Denn wir sind das Volk, nicht Ihr!

Gleiche Begriffe, unterschiedliche Bedeutungen: Volk

Ein anderes Wort für Volk wäre vielleicht „Leute“ gewesen oder „Bevölkerung“. Aber wie hätte sich das angehört? „Wir sind die Bevölkerung!“ oder „Wir sind die Leute!“. Das wäre nicht so gut gekommen. „Volk“ ist ein Begriff, den jede/r sofort versteht. Das sind alle, die in einem Land zusammenleben (wollen). Ganz einfach. Später wurde daraus „Wir sind EIN Volk!“, um den Wunsch nach der Wiedervereinigung auszudrücken. Volk – es hallte wider in den Straßen und auf den Plätzen Ostdeutschlands. Dabei hat dieses Wort sehr unterschiedliche historische Bedeutungen und ist politisch sehr verschieden interpretiert worden. Bis heute.

Ausgrenzend "Volk" schreien ist nicht christlich © Tom Rübenach
Ausgrenzend “Volk” schreien ist nicht christlich © Tom Rübenach

Die lediglich vier Seiten umfassende Zeitschrift „Das Volk“ beispielsweise erschien im 19. Jahrhundert in London. Einer ihrer Unterstützer war kein geringerer als Karl Marx. Herausgegeben wurde sie vom „Deutschen Arbeiterbildungsverein“, einer Vorgängerorganisation des Bundes der Kommunisten. Das mag für viele überraschend klingen, weil die meisten das Wort „Volk“ doch eher politisch rechts verorten. Da haben wir schon so ein Missverständnis. Nicht jedes Wort, das einem rechts vorkommt ist es auch. Umgekehrt gilt das übrigens auch so.

Unterschiede in Sprache und Duktus

Die, die heute – vor allem im Osten Deutschlands – schreien „Wir sind das Volk!“, wenden sich vordergründig gegen die Herrschenden wie damals. Vor über einem Vierteljahrhundert indes ging es gegen eine Diktatur, einen Unrechtsstaat. Im Gegensatz zu den späten 80er Jahren steht die Bevölkerung in ihrer Mehrheit heute nicht hinter den Protestierenden. Im Gegensatz zu jenen, die ein t Land wollten, sind heute Schreihälse und Scharfmacher unterwegs. Damals ging es friedlich zu, nicht nur in den Taten, auch in der Sprache.

Indem sie vorgeben, das Volk zu repräsentieren, gebärden sie sich wie Despoten. Sie sind so sehr von sich und ihrer Mission überzeugt, dass sie scheinbar viele Mittel billigen – führen sie nur zur Verheißung. Gewiss haben weder Hecke oder Storch noch Petry oder wie sie alle heißen direkt zur Gewalt aufgerufen. Aber ihre Sprache verrät mehr als die Worte, die die „Wir sind das Volk“-Leute benutzen. Gegröle ist hier stärker als Applaus. Empörung umso leiser, wenn es um Angriffe gegen Menschen geht, die anders aussehen. Die Metaphorik der rechten Radikalen ist verklemmt und gefährlich zugleich.

Das Volk unterwegs © Tom Rübenach
Das Volk unterwegs © Tom Rübenach

Damit keinerlei Missverständnisse entstehen: demokratisch gewählte Politiker bildlich an den Galgen zu hängen, ist widerlich. Ob dies bei Pegida oder irgendwelchen linken Extremen geschieht. Letztere nennen sich Antraf oder Autonomie. Dabei sind auch sie ähnlich anmaßend wie die Rechten. Sie nehmen für sich in Anspruch, für das Volk zu kämpfen. Welchen Kampf meinen sie? Es sind ähnliche Egomanen wie die Leute auf der rechten Seite des extremen Spektrums. Beide postulieren in allem, was sie tun, schreiben, schreien: Die da oben haben kein Recht zu regieren, sind manipuliert vom Großkapital oder den USA oder sonst wem. Also nehmen sie sich – beide – das Recht heraus, zu definieren, was Volkes Wille sei.

Radikalen nicht die Begriffe überlassen

Sie kennen den friedlichen demokratischen Diskurs nicht. Sie interessieren sich nicht dafür. So lange sie von sich selbst glauben, das „Volk“ zu vertreten, attackieren sie. Das bekommen die zu spüren, die eine andere Hautfarbe haben, aus einem anderen Land kommen, sexuell anders ticken als sie selbst. Oder einer anderen Religion angehören. Radikale Minderheiten definieren für sich selbst, was gilt: da können sich linke und rechte Extreme die Hand geben.

Eingezäunt und verbarrikadiert: die Rechte © Tom Ruebenach
Eingezäunt und verbarrikadiert: die Rechte © Tom Ruebenach

Worauf es ankommt, jetzt, in diesen Zeiten politischer Unsicherheit, ist einfach. Die Demokraten dürfen sich nicht von Extremen die Begriffe stehlen lassen. Das Volk ist das Staatsvolk, oder jenes, das sich friedlich beteiligt. Oder das, das sich in die Politik einmischt und demokratische Prozesse mit bestimmt. Friedlich in Wort, Schrift und Tat. Und auf der Basis dessen, was doch gerade die rechten Radikalen für sich beanspruchen: den Werten des christlichen Abendlandes.

Dazu gehören Toleranz, Nächstenliebe, auch Barmherzigkeit. Die Minderheit aber, die sich „Volk“ nennt, radikalisiert und brutalisiert: sie hat mit der Demokratie nicht wirklich viel am Hut. Sonst würde sie ja bei fünfzehn Prozent nicht so tun, als wäre sie die Mehrheit. Schon gar nicht gehört ihr das Wort „Volk“. Dazu gehöre ich nämlich auch.

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