Böhmermann | und die wirklich wichtigen Themen
ToS | 14. April 2016 Die Herren Böhmermann und Erdoğan beschäftigen die halbe Welt. Darauf müssen sie nicht stolz sein. Ebensowenig sind ihre jeweiligen Argumente wirklich überzeugend. Denn nicht nur der Despot aus dem Sultanspalast noch der sogenannte „Comedian“ begreifen wirklich, was sie gerade tun. Es ist Zeit für die Öffentlichkeit, sich wieder den wirklich wesentlichen Dingen dieser Tage zuzuwenden.
„Agadez ist die Fluchtstadt unserer Tage geworden,“ schrieb mir dieser Tage ein Freund aus dem Niger. Und, weiter in dieser Mail: „Es ist eine traurige und gefährliche Reise für diese armen Leute.“ Der Grund ist klar: Die Flüchtlinge aus verschiedenen afrikanischen Staaten müssen quer durch die Sahara. Viele haben dort bereits ihr Leben verloren; elendig verdurstet, regelrecht vertrocknet. Aus Äthiopien erreichen uns ebenfalls schreckliche Nachrichten in diesen Tagen, in denen sich die halbe Welt mit den beiden Wichtigtuern Böhmermann und Erdoğan beschäftigt. Dort nämlich, am Horn von Afrika, war es noch vor wenigen Wochen nicht einmal kühler als um die 40 Grad (in Worten: vierzig) – und zwar nachts. Über zehn Millionen Menschen haben nicht genug Wasser wegen der Hitze und gegen sie. Ein gigantischer Ernteausfall macht ihnen zu schaffen. Rund 450.000 Kinder hungern, so das Welternährungsprogramm der UNO.
Hauptsache lustig, Hauptsache lachen
Diese anderen Nachrichten – aus der realen Welt – ließen sich hier ohne komplizierte Recherche weiter auflisten. Es sind Nachrichten, die es nicht mehr in die Zeitungen, ins Radio oder Fernsehen und ebenso wenig irgendwohin ins Netz schaffen. Jedenfalls nicht so, dass sie wahrgenommen werden könnten. Aus solch einer Wahrnehmung würde womöglich Hilfe entspringen. Stattdessen beschäftigen wir uns mit zwei sich selbst überschätzenden Darstellen ihrer jeweiligen Zunft. Der eine von Hause aus Unterdrücker, der andere sowas wie ein Komiker. Warum nehmen wir sie so derart ernst, dass sich jeder mit jedem darüber austauscht? Die Antwort liegt auf der Hand: Weil es einfach ist. Und jeder und jede seinen oder ihren lustigen Senf dazu geben kann. Sonst würden wir uns mit echten Problemen beschäftigen.
Friederike Haupt hat in einem höchst konsistenten Beitrag für die FAZ Anfang dieser Woche die richtigen Fragen gestellt. Sinngemäß schrieb sie: Wo vor allem die jüngeren Rezipienten sich auf alles einigen könnten, was auf -show ende, sei die Substanz von Argumentation meist kaum vorhanden. Haupt schreibt:
„Interessant ist, was für ein Bild von Politik Menschen bekommen, die keinen anderen Zugang mehr zu Politik haben wollen als diese Shows und das, was auf deren Kanälen im Internet an Sprüchen und Bildern dazukommt.“
Schreckliche Vision für die kommenden Jahre! Nicht auszumalen, wie „politische“ Gespräche verlaufen, sollte sich diese Entwicklung verstetigen oder gar noch verstärken. Da würden dann die „heute show“ oder „extra3“ als Primärressource für Informationen über Politik genutzt. Hauptsache lustig. Nein, was haben wir gelacht!
Böhmermann ist vor allem ein Haudraufmännchen
Wie der AKP-Herrscher aus der Türkei darauf reagiert, sollte als beißende Satire wahrgenommen werden; türkische Menschenrechtler freilich werden das ganz anders lesen. Ihnen dürfte wenig der Sinn nach Humor und Satire stehen. Erdoğan können wir – von hier aus gesehen – dennoch getrost brüllen lassen. Er ist indes ein gefährlicher Bursche für die Entwicklung der Türkei, wenn man unsere Vorstellungen eines freien Landes zugrunde legt. Böhmermann hingegen ist eine arme Wurst. Er geriert sich wie ein spätpubertierender Schüler, der sauer ist, immer als letzter in die Fußballmannschaft gewählt zu werden. Weil er schlecht ist. Das allerdings begreift er nicht, weil zu eitel und äußerst selbstbezogen. Dies wiederum hat er mit Erdoğan gemeinsam. Wie wäre es eigentlich, wenn Böhmermann zur Abwechslung mal ein wirklich richtig gutes Gedicht schriebe, in dem er sich entschuldigte? Jedenfalls bei all denen, die er kollektiv beleidigt hat, indem er Textbausteine lächerlicher Lacher wie ein Haudraufmännchen zusammen pappt: „Ziegen ficken … und dabei Kinderpornos schauen“ sind doch – gleichgültig für oder gegen wen auch immer – einfach krank. Auch dann, wenn man damit Lacher produzieren will und auch, wenn das alles mehrfach erläutert wird.
Böhmermann schadet auch der Satire
Bedauerlich, dass Böhmermann einfach keine große Persönlichkeit ist. Deswegen wird er sich nicht entschuldigen. Im Gegenteil: Er sieht sich als der Retter des freien Satire-Abendlandes. Seine Reaktion zu Beginn der Affäre jedenfalls lässt nur diesen Schluss zu. Da ist ganz schön viel Hybris dabei. Damit keinerlei Missverständnis entsteht, sei es hier ausgedrückt: Satire genießt zu Recht einen unglaublich großen Spielraum in unserem Land. Gut so! Für den Artikel 3 des Grundgesetzes würde der Autor dieser Zeilen womöglich in den Kampf ziehen. Gleichwohl gestattet Freiheit nicht alles und will zudem verantwortlich wahrgenommen werden. Tulcholski sagte zwar einst, der Satiriker könne „nicht wägen – er muß schlagen“. Auch wird das Wort, dass „Satire alles“ darf, gerade häufig in der Gegend herum zitiert. Dass dabei der historische Kontext ignoriert wird, passt ins Bild der “-show”-Rezipienten.
Böhmermann hat erreicht, dass über Satire äußerst kontrovers diskutiert wird. Er hat einem Wort Platz und Raum verschafft, das schon gänzlich verschwunden schien: Schmähung. Das ist gleichwohl nicht sein Verdienst. Ich halte ihn nicht für intelligent genug anzunehmen, dass er dies absichtlich tat. Dass sich das Publikum auf die Schenkel und sonst wohin klopfen möge. Das hat er erreicht. Hauptsache laute, feiste Lacher; damit aber wird Satire kaputt getextet. Was er mit seinem “Gedicht” auch geschafft hat: Kanzler- und Außenamt, Justizministerium und Staatsanwälte und Diplomaten und Öffentlichkeit müssen sich mit etwas beschäftigen, das nicht wirklich Bedeutung hat. Nämlich mit einem wildgewordenen Diktator und einem gnadenlos überschätzten Komödianten. Anstatt diese Energie darauf zu fokussieren, Leuten zu helfen, die buchstäblich am Verrecken sind.
Und für alle, die das sogenannte “Gedicht” noch immer nicht kennen, aber dennoch bereits darüber sprechen: Hier ist es in Schriftform.
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