TTIP: Wohin geht die Reise? © Tom Rübenach

7 Fragen an | Heribert Scharrenbroich zu TTIP

TSBN | 27. April 2016 Die Demonstration am vergangenen Wochenende war ein deutliches Zeichen gegen TTIP. Die Rede des US-amerikanischen Präsidenten, ebenfalls in Hannover, ein ebenso starkes dafür. Es ging und es geht um das transatlantische Freihandelsabkommen. Der größte Binnenmarkt der Welt soll entstehen. Heribert Scharrenbroich ist gegen TTIP.

Wenige Abkürzungen sind inzwischen so bekannt wie TTIP. Gleichzeitig wissen kaum mehr als die sehr Interessierten, wofür diese vier Buchstaben überhaupt stehen, die so viel verändern könnten: TTIP steht für Transatlantic Trade and Investment Partnership. Wir haben Heribert Scharrenbroich nach seiner Position zu TTIP befragt. Zuvor stellen wir ihn kurz vor.

Dieses Interview ist der Start einer neuen Rubrik. Eine feste Rubrik in lockerer Folge: “Sieben Fragen an”. Wir werden bekannte Persönlichkeiten interviewen, ebenso unbekannte, alte und junge. Aus den unterschiedlichsten Bereichen: Politik, Kultur, Sport, Freizeit, Musik oder Literatur. In Büros und auf Straßen werden wir sie befragen, bei Kongressen und Konzerten. Unser erster Gast ist Heribert Scharrenbroich.

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Gegen TTIP: Heribert Scharrenbroich © Tomas Rübenach
Heribert Scharrenbroich © Tom Rübenach

Heribert Scharrenbroich

(76), Dipl. Volkswirt, Mitglied der CDU und Unterstützer von Campact, Vorsitzender des Kuratoriums der Hilfsorganisation CARE Deutschland-Luxemburg. Ehemaliges Mitglied des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages und sieben Jahre Vorsitzender der Arbeitnehmergruppe der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Danach Staatssekretär im Bundesfamilienministerium und Regionaldirektor der Internationalen Arbeitsorganisation der Vereinten Nationen (ILO). Das Interview führte Thomas Schwarz. [/grey_box]

Herr Scharrenbroich, Sie gehören zu jenen, die sich gegen TTIP aussprechen, „jedenfalls so lange, wie die gegenwärtig bekannte Problempunkte nicht ausgeräumt sind“, wie Sie sagen. Das hört sich nicht nach einem kategorischen „Nein“ an. Brauchen wir nun TTIP oder nicht?

Kritiker will man mit der Versicherung beruhigen, bestehende Standards würden seitens der EU nicht zur Disposition gestellt. Das stimmt vermutlich, ist aber nicht mein Punkt. Schlimm ist vielmehr: Bis jetzt deutet alles darauf hin, dass die EU und ihre Mitglieder nicht mehr die Möglichkeit haben werden, Standards – vor allem in den Bereichen Ernährung, Landwirtschaft, Chemie und Umwelt – so weiter zu entwickeln, wie sie es für richtig halten. Das wäre aber ein kategorisch abzulehnender Eingriff in  die Souveränität unserer Gesetzgeber. Und ein Investitionsschutzabkommen zwischen USA und der EU ist ausschließlich im Interesse der multilateralen Konzerne, die dadurch einen erheblichen Einfluss auf die Gesetzgebung in beiden Entitäten bekommen. Es ist neu, dass man Investitionen in zwei einwandfrei rechtsstaatlichen Entitäten schützen muss. Das war ursprünglich auch nicht vorgesehen.

Die 2013 im Auftrag unseres Wirtschaftsministeriums erstellte und heute noch maßgeblich von den Befürwortern herangezogene Studie des ifo-Studie kannte diese Komponente „Investitionsschutz“ noch nicht und spricht nur von einem TAFTA (Trans-Atlantic Free Trade Agreement). Das „I“ muss raus! Damit wäre übrigens auch die leidige Diskussion um Schiedsgerichte in diesem Abkommen auch erledigt. Ein TAFTA könnte eventuell zu einer Wohlstandsmehrung für Einige durch Abbau von Handelshemmnissen führen. Es bleibt aber die Frage „zu wessen Lasten.“ Und die Frage muss auch beantwortet werden.

Sie haben doch ganz lange Arbeitnehmerpositionen vertreten und für 
deren Teilhabe auch am Wirtschaftswachstum gekämpft. Das Abkommen soll 
ja auch zu mehr Wachstum führen. Was ist daran falsch?

Ich trete immer noch für Arbeitnehmeranliegen ein, solange sie nicht zu Lasten des Allgemeinwohls  durchgesetzt werden. Und nicht zu Lasten der Armen in anderen Ländern. Das Abkommen kann zu einem bescheidenen Wirtschaftswachstum führen. So die Prognosen, die aber alle die Einhaltung  bestimmter Bedingungen verlangen. Bei der Vorstellung seiner Forschungsergebnisse  schreibt das ifo-Institut am 28.2.2013: „Positive Auswirkungen hätte TAFTA auch auf den Arbeitsmarkt. Zwar gingen weltweit etwa 240.000 Jobs verloren, aber in Deutschland wären bis zu 110.000 neue Arbeitsplätze und in der EU insgesamt 400.000 neue Stellen zu erwarten.“ Wohlgemerkt: Diese Veränderungen könnten sich nach 10 Jahren einstellen! Und es gibt andere Prognosen, die von Arbeitsplatzverlusten insgesamt sprechen.

Bei vielen unklaren Prognosen und gewagt klingenden Vorhersagen: 
sollten der Deutsche Bundestag oder das Europaparlament überhaupt zustimmen?

Die Parlamente sollten nur zustimmen, wenn mit dem Abkommen Souveränitätsrechte der Parlamente zweifelsfrei nicht eingeschränkt werden. Neben diesem grundsätzlichen Argument sehe ich übrigens auch die Gefahr, dass National-Populisten wie die AfD demnächst vom Ausverkauf deutscher Souveränitätsrechte an die USA schwadronieren.

Präsident Obama hat gerade in Deutschland für TTIP geworben. Sind 
seine Argumente falsch?

Wenn ein Wirtschaftsraum, in dem sich mehr als 50% des Welthandels abspielen, gute Standards festschreibt, hat das Auswirkungen auf den gesamten Welthandel. Ob es aber durch TTIP wirklich zu guten Standards kommen könnte, darf bezweifelt werden. Ich habe meine Zweifel, ob zum Beispiel die Respektierung von Menschenrechten und die Fortentwicklung von Standards zum Schutz von Gesundheit und Umwelt bei einem TTIP  eine hervorragende Rolle spielen würden. Und Obamas Thesen zur Wohlstandsmehrung klingen ähnlich wie die unrealistischen Versprechungen des damaligen US-Präsidenten Bill Clinton 1994 bei Inkrafttreten des Freihandelsabkommens NAFTA für USA, Kanada und Mexico.

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Europäische Bürgerinitiative CAMPACT!
Europäische Bürgerinitiative

Nicht nur gegen TTIP

Über 3,4 Millionen Unterschriften gegen TTIP hat die selbstorganisierte europäische Bürgerinitiative campact! bisher gesammelt. Alleine in Deutschland haben weit über 700.000 Menschen unterschrieben. campact! gibt sich selbstbewusst. Die Bürgerinitiative wendet sich mit Online-Appellen direkt an Verantwortliche in Parlamenten, Regierungen und Konzernen. Sie schmiedet Bündnisse und bringt ihren Protest auf die Straße. Finanziert wird campact! durch Spenden. [/grey_box]

Der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages kommt jedenfalls in einer Untersuchung Anfang Februar dieses Jahres zu folgendem vernichtenden „Fazit“: „Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass in allen drei Staaten das erste Jahrzehnt nach Inkrafttreten des Abkommens – einhergehend mit einem erheblichen Anstieg des zwischenstaatlichen Handels – von einer Minderung des Lohnniveaus, der Zunahme von Arbeitslosigkeit bzw. prekärer Beschäftigung sowie einem Auseinanderdriften von Arm und Reich geprägt war. – Erst während der 2000er-Jahre erreichten Lohnniveau und Beschäftigung der nordamerikanischen Staaten in den USA und Kanada wieder ihr Vorniveau.“ NAFTA ist übrigens auch ein gutes Beispiel, was von Prognosen zu halten ist!

Maedchen in Darfur: Sie wuerde von TTIP nicht profitieren (c) Tom Ruebenach
Tagelöhnerin in Darfur © Tom Rübenach

Ist TTIP ein reines Abkommen für die ohnehin reichen Länder oder 
würden davon auch Entwicklungsländer profitieren können?

Die Wohlstandsmehrung in den USA und den Ländern der EU durch TTIP ist also bereits fraglich und auf jeden Fall von Land zu Land sehr unterschiedlich. Für die Entwicklungs- und Schwellenländer wird es auch unterschiedliche Auswirkungen haben. Aber in den meisten Ländern kommt es zu Arbeitsplatz- und Realeinkommensverlusten. Verstärkter Handel zwischen USA und EU verringert auf jeden Fall die Exporte dieser Länder in die TTIP-Länder. Ist doch logisch! Eine ifo-Studio für die Bertelsmann-Stiftung (2013) zum Thema Auswirkungen auf Drittstaaten räumt ein, das Pro-Kopf-Einkommen würde in vielen afrikanischen Ländern um zwei, drei oder vier Prozent, in zwei Ländern sogar um mehr als sechs und sieben Prozent sinken.

Neben der Frage einer “TTIP-Gerichtsbarkeit” – also außerhalb des 
deutschen oder des EU-Rechts – gibt es ja auch andere Kritikpunkte, wie 
beispielsweise den der Verringerung von Verbraucherrechten oder beim 
Umweltschutz. Ist es realistisch, heute noch von einem Abschluss in 
diesem Jahr auszugehen?

In drei Jahren, also seit 2013, wurden gerade mal 50% der Agenda verhandelt. Und in den  kniffeligsten Fragen hat man sich noch nicht geeinigt. Es spricht also vieles dafür, dass bis zur Wahl eines neuen US-Präsidenten noch nicht einmal der Text zu Ende verhandelt ist, von einer Ratifizierung ganz zu schweigen. Nach Abschluss der Verhandlungen muss der Text verbindlich in alle EU-Sprachen übersetzt werden. Bei CETA benötigte man dafür 8 Monate. Und dann kommen vermutlich Verfassungsklagen vor nationalen Gerichten und dem Europäischen Gerichtshof (EUGH), die den Ratifizierungsprozess verzögern werden. Manche Klage würde übrigens entfallen, wenn das Abkommen sich nicht zum Investitionsschutz äußern würde.

Was treibt Sie an, sich so eindeutig in dieser Frage zu positionieren?

Es drohen Arbeitsplatzverluste in verschiedenen Branchen und die Vergrößerung der Armut für viele Menschen in Entwicklungs- und Schwellenländern. Vor allem aber steht die Souveränität der EU und seiner Mitgliedsstaaten auf dem Spiel. Und solange Parlamente und Öffentlichkeit nichts, aber auch gar nichts darüber erfahren,  was bereits vereinbart wurde, solange wir nur die Polemik der Konzerne gegen die zu hohen Standards in Europa kennen, ist die Ablehnung eines TTIP gerechtfertigt.

Vielen Dank für das Gespräch.

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